Teil III: Goethe, Newton und heutige Optik

Das Verhältnis der Farbenlehre Goethes zur Optik Newtons ist seit Erscheinen der Farbenlehre vor 200 Jahren bis heute immer wieder neu gedeutet und bewertet worden. Dabei hat sich durch die Beiträge bedeutender Naturwissenschaftler wie Heisenberg, Born und von Weizsäcker eine Würdigung der Goetheschen Arbeiten zur Farbenforschung abgezeichnet, die unabhängig von seinem Dissenz zur Newtonschen Optik gesehen werden kann.

Hingegen sind die Teile von Goethes Schriften, die Newton widersprechen, fast ausnahmslos als unhaltbar eingeschätzt und auf ein Missverständnis Goethes der physikalischen Zusammenhänge zurückgeführt worden.

Newton selbst hat bereits die Experimente entwickelt, mit denen bis heute alleExperimente, einschließlich der Goetheschen, widerspruchslos erklärt werden können. Einige der Newtonschen Experimente sind in der Ausstellung als interaktive Exponate aufgebaut, an denen Newtons Theorie über das Licht nachvollzogen werden kann.

In einem direkt anschließenden Ausstellungsteil werden sowohl die Experimente Newtons, als auch die Goethes mit den Mitteln der heutigen Optik verbessert und technisch modernisiert. Die eingesetzten optischen Möglichkeiten gehen ganz auf die Arbeiten Newtons zurück, so dass mit diesen Experimenten eine Vereinigung grundlegender Ideen Goethes mit Newtonscher Experimentierkunst versucht wird. Gleichzeitig lassen sich auch ursprünglich Newtonsche Experimente durch Goethes Komplementaritätsauffassung des Phänomenbereichs erweitern und  abbildungsoptisch verallgemeinern. Etwas pointiert könnte man sagen: Newton wird nicht gegen, sondern mit Goethe – und umgekehrt Goethe nicht gegen, sondern mit Newton „aufgerüstet“ – nicht theoretisch, sondern praktisch in Experimenten. Dabei zeigt sich, dass komplementäre Spektren, wie Newtons Spaltspektrum und das dazu von Goethe als gleichwertig eingeführte Stegspektrum, nicht nur auf der gleichen optischen Grundlage beruhen, sondern sich optisch gegenseitig bedingen!

Die so simultan erzeugten Spektren werden in Kinoleinwandgröße projiziert, aber nicht statisch, der Besucher kann durch Variation der experimentellen Parameter beide Spektren synchron verändern und beobachten, wie in ihnen die Farben, Farbübergänge und Farbsättigungen korrespondieren.

Es gibt auch eine Projektion von Komplementärspektren, bei der man – gleichzeitig in beiden Spektren – in eine frei wählbare Spektralregion „hineinzoomen“ kann: es entstehen aus schmalen Farbbereichen große homogene Farbflächen, die den Bogen zu Farbwahrnehmung und Lichtkunst schließen und einen Abschluss der Ausstellung bilden, in dem es nicht mehr um die historische Farbenlehre Goethes geht.

Insofern will die Ausstellung nicht nur 200 Jahre zurückblicken, sondern, von Goethe ausgehend, 200 Jahre voraus – sie möchte die Frage stellen: wie kann Goethes Farbenlehre heute verstanden werden?